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Murat Çakır

Wenn die Wahrsagerin anruft

Am Donnerstag brachten die Agenturen eine Nachricht, die sich wie ein Witz anhörte. Am Mittwoch Abend hatte der tschechische Geheimdienst eine Terrormeldung erhalten. Kurz darauf wurde der Prager Flughafen von Panzern und bewaffneten Kräften umzingelt. Es passierte natürlich nichts. Denn die Meldung kam von einer Wahrsagerin. Kein Witz. Sie hatte im Innenministerium angerufen und gesagt, dass ein Terroranschlag gegen einen Flugzeug bevorstünde. Der tschechische Innenminister, Ivan Langer erklärte später vor der Presse: »Es war eine sehr ernst zu nehmende Meldung. Wir werden uns an weitere Sicherheitsvorkehrungen gewöhnen müssen«.

Die türkeistämmigen Linken sind es gewohnt, dass bei dem Kampf gegen den Terror (!), alle möglichen Mittel benutzt werden. Durch das tschechische Innenministerium haben wir nun auch gelernt, dass die Parapsychologie auch dazu gehört. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie beim lesen dieser Zeilen lächeln, aber ich muss auch zugeben, dass es mich richtig beängstigt. Wenn die Herrschenden, die den Anruf einer Wahrsagerin für die Alarmierung der Sicherheitskräfte und des Geheimdienstes zum Anlass nehmen, sich für ihre politische Ziele und das schüren einer Angsthysterie gar mittelalterliche Instrumente bedienen, dann sieht es für die Zukunft ganz Schwarz aus.

Eigentlich sollten die Tschechen, die nach dem Scheitern des Staatssozialismus nun die neoliberale Variante des Kapitalismus erleben, sich von ihren deutschen Nachbarn beraten lassen. Denn wenn es so weitergeht, werden sie womöglich irgendwann ihre innere Sicherheit den Traumdeutern anvertrauen und zum Lachnummer der Welt werden.

Deutschland, die Heimat der Rationalität, das Land des technologischen Fortschritts und Exportweltmeister, braucht weder Wahrsagerinnen, noch die Parapsychologie, wenn es heißt Ängste zu schüren. Wozu gibt es den Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst oder den Militärischen Abschirmdienst? Während die Tschechen den ernsthaften (!) Deutungen der Wahrsagerin nachgingen, waren in Berlin sachkundige Professoren und Experten dabei, wieder den Teufel an die Wand zu malen. Die bundesdeutsche Öffentlichkeit, längst gewohnt an Beobachtungskameras, ängstlich vor islamistischen Terroristen, die hinter jeder Ecke lauern und bereit, für die innere Sicherheit auf Freiheiten zu verzichten, ließen sich von den Experten erklären, wie gefährlich das Leben in Deutschland nun geworden ist.

Es war kein geringerer als der Chef des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, der darauf hinwies, dass die Terrorgefahr »erheblich gestiegen« sei und nach einer möglichen Beschlussfassung durch den Bundestag für den Einsatz der Tornados in Afghanistan die Gefährdung noch größer sein würde. Fromm sagte, dass er Angst davor habe, dass Islamisten in Deutschland eine »dreckige Bombe« hochgehen lassen könnten. Immerhin hatte die deutsche Botschaft in Kabul von »üblichen Quellen« Anzeichen dafür erhalten, dass Al – Qaida ihre Terrorzellen in Deutschland alarmiert habe.

Die bundesdeutsche Öffentlichkeit hat ja nun kein Grund, dem obersten Verfassungsschützer zu misstrauen. Dem Mär von der Verteidigung Deutschlands auf dem Hindukusch schenkt man ja auch mehrheitlich Glauben. Sonst würde sich die Öffentlichkeit fragen, was deutsche Soldaten auf dem Hindukusch zu suchen haben. Denn zum Urlaub sind sie ja nicht hingeflogen worden. Oder man würde erkennen, dass die logistische Unterstützung von amerikanischen Armeeeinheiten in Afghanistan bzw. der Einsatz von Tornados aktive Teilhabe am Krieg bedeutet. Und man würde auch erkennen, dass Interventionskriege und die Angstgesellschaft in einem engen Zusammenhang mit dem Sozialabbau, dem Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten sowie mit der Prekasierung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland stehen.

Wie dem auch sei. Hätte der tschechische Innenminister nur über die Grenze rüber geschaut, hätte er gemerkt, dass er keiner Hilfe von Wahrsagerinnen oder Traumdeutern angewiesen ist, um die Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen. Auch in Tschechien gibt es bürgerliche Medien, zahlreiche Experten und Geheimdienste. Die Medien und Geheimdienste sind besser als Wahrsagerinnen. Wenigstens das hätte er von seinen deutschen Nachbarn lernen können.

Am 17. Februar 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«

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