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Murat Çakır

Christian Klar und die Empörung der Konservativen

Die Grußadresse des früheren RAF-Mitglieds Christian Klar an die »Rosa-Luxemburg-Konferenz«, die von der linken Tageszeitung Junge Welt am 13. Januar 2007 durchgeführt wurde, hat eine Medienhysterie in der deutschen Blätterlandschaft ausgelöst. Die Diskussionen um die Freilassung von Christian Klar nach 24 Jahren Einzelhaft, worüber noch der Bundespräsident zu entscheiden hat, sind dadurch vom neuen entflammt worden. Immerhin hatte ein ehemaliger »Terrorist« an eine Konferenz der radikalen Linken eine kapitalismuskritische Grußadresse gesendet – und das auch noch aus seiner Zelle, wo er seit 24 Jahren einsitzt! Das dürfte ja wohl nicht wahr sein.

Die Kapitalismuskritik von Klar, seine Aussagen, dass Europa als ein imperialer Bündnis sich ermächtige, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und mit der Inspiration, der aus den Ländern Lateinamerikas ausgeht, »die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden«, hat insbesondere die Konservativen empört. Quasi alle PolitikerInnen die vor den Kameras wetteiferten, wollten Klar »bis an sein Lebensende hinter verschlossenen Türen« sehen.

Wenn man sich die Zwischenüberschriften dieses Gezeters anschaut, wird es deutlich, dass es hier um mehr geht, als um reine Empörung. Zuallererst ist es als Suspekt zu bezeichnen, dass eine sechs Wochen alte Meldung als etwas »neu gesagtes« skandalisiert wird. Vor den RAF- Diskussionen hatte die Konferenz der Jungen Welt, die traditionell am Vorabend der Luxemburg-Liebknecht-Ehrungen stattfindet, wegen der ETA für Schlagzeilen gesorgt. Das Außenministerium hatte sogar dem Parteisprecher der Batasuna, Arnaldo Otegi, die Einreise in die Bundesrepublik versagt. Daraufhin begann gegen die Linke eine Diffamierungskampagne.

Jetzt wird dasselbe Spiel wiederholt. Diesmal mit dem Namen von Klar. Inzwischen hat der baden-württembergische Justizminister Ullrich Boll (FDP) die anstehende Hafterleichterung für Klar, mit der Bezugnahme auf seine Kapitalismuskritik, aufgehoben – noch bevor es begonnen hatte. So wird versucht, den Druck auf den Bundespräsidenten sowohl juristisch, als auch politisch zu erhöhen.

Während in den Fernsehsendungen über die Anschläge der RAF historische Berichte gesendet werden, wird gleichzeitig Geschichtsfälschung betrieben und versucht, mit den Kapitalismusgegnern insgesamt abzurechnen. Beispielsweise wird bewusst verschwiegen, dass in Deutschland, einem Land, welches sich als »demokratischer« Rechtsstaat bezeichnet, seit mehr als zwei Jahrzehnten immer noch Isolationshaft und »weißer Folter« vorhanden sind. Im 21. Jahrhundert ist es selbstredend, dass in hochindustrialisierten Ländern, in denen die bürgerliche Demokratie noch einigermaßen funktioniert, die Anwendung der Gewalt als Mittel politischer Kämpfe gänzlich abzulehnen. Dies betonen selbst die ehemaligen Mitglieder der RAF. Doch das eigentliche, was hinterfragt werden muss, sind die Rachegefühle der kapitaldominierten Politik und des Staates.

Die Amnestieforderung von Christian Klar beruht auf dem geltenden Recht. Nach diesen ist es zulässig, dass Christian Klar, der zu einer lebenslänglichen plus 15 Jahren Haft verurteilt ist, nach 26 Jahren, also 2009 aus der Haft entlassen wird. Wenn trotz dieser unstrittigen Rechtslage immer noch gefordert wird, dass Klar wegen seiner Kapitalismuskritik inhaftiert bleiben soll, dann zeigt das auf der einen Seite, wie Beliebig die Herrschenden den Rechtsstaat interpretieren. Auf der anderen Seite ist diese Haltung aber ein klares Signal in die Gesellschaft hinein.

In einem Europa, in der die sozialen und demokratischen Rechte abgebaut, alle Lebensbereiche mit Privatisierung und Deregulierung unter die Dominanz der Kapitalverwertung gestellt, die Lebens- und Arbeitsbedingungen prekarisiert werden, die Umwelt durch das Profitgier mehr und mehr gefährdet wird, die Außenpolitik militarisiert, Energie- und Rohstoffressourcen mit Interventionskriegen ausgeplündert werden und die internationalen Finanzmärkte die nationalstaatlichen Ökonomien unter Dauerfeuer halten, gibt es nichts logischeres als, den Kapitalismus und somit imperiale Politik zu kritisieren. Auch ein ehemaliger Gewalttäter, der in Haft sitzt, hat das Recht dazu. Denn immerhin sind die Ursachen dieser Gewalt heute noch im Kapitalismus verankert. Zuallererst ist diese Situation zu hinterfragen.

Am 3. März 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«

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