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Murat Çakır

»Pamuks Deutschlandbesuch«

Die Absage von Orhan Pamuk, der Deutschland aufgrund einer Einladung des deutschen PEN besuchen sollte, hat zu Reaktionen bei deutschen PolitikerInnen geführt. Viele prominente PolitikerInnen forderten die Türkei auf, ihre Intellektuellen zu schützen und den umstrittenen Strafrechtsparagraphen 301 aufzuheben. Der stellvertretende Bundestagspräsident Thierse ging sogar noch weiter: »Die Türkei ist faktisch kein Rechtsstaat«. Auch die Türkische Gemeinde ermutigte Pamuk, nach Deutschland zu kommen.

Sicher, der Kritik an der Türkei kann nicht widersprochen werden. Dennoch riecht alles zu sehr nach Heuchelei. Zuerst ist festzustellen: Die Absage von Pamuk ist nachvollziehbar. Denn für einen türkischen Oppositionellen ist Deutschland kein sicheres Terrain. Der lange Arm der Kräfte, welche die Fäden hinter dem Attentat an dem linksliberalen Hrant Dink zogen, reicht bis nach Deutschland.

Es geht mir nicht darum, irgendwelche Verschwörungstheorien aufzustellen. Um es verständlicher zu machen, sei es mir erlaubt, einen kurzen Rückblick wagen. Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 hatten die türkischen Entscheidungsträger, um die öffentliche Wirkung der Juntagegner, die damals sich in Deutschland konzentrierten, zu schwächen und die türkeistämmige Masse unter ihre Kontrolle zu bringen, die sogenannte »Befriedungsoperation« gestartet. Die Operation hatte eine illegale und zwei politische Ziele. Das illegale Ziel der Operation war die Liquidierung der damaligen Angehörigen der armenischen Untergrundorganisation ASALA. Der damalige Juntachef Kenan Evren erläuterte die politischen Ziele wie folgend: »Der Nationale Sicherheitsrat hat, neben dem Ziel armenische Terroristen und kommunistische Separatisten auszulöschen, sich die Aufgabe gegeben, den Einfluss der staatsfeindlichen Kräfte in Westeuropa zu brechen und die türkischen Staatsangehörigen für ihr Vaterland zu gewinnen.«

Während die Junta ihre Operationen durchführte, bekam sie die größte Unterstützung vom Bundesnachrichtendienst BND. Die Zusammenarbeit der türkischen und deutschen Dienste hat eine lange Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Beziehungen von dem ehemaligen Nazioffizier und BND – Gründer Gehlen gepflegt. Die Verflechtungen wurden sogar später durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin, AZ: VG 19A 329.82 vom 1993 dokumentiert. Das Verwaltungsgericht sah es als erwiesen an, dass der BND regelmäßig Ankara Informationen über türkeistämmige und kurdische Oppositionelle weitergeleitet hat.

Ankara, die mit deutscher Hilfe die Auslandsstrukturen ihres Geheimdienstes MIT in den Jahren 1985 und 1986 umbauen konnte, hatte das Hauptziel ihrer »Befriedungsoperation« auf den Aufbau einer »Türkeifreundlichen Lobby« konzentriert. Nach diesen Jahren begann die Gründung verschiedener türkeihöriger Organisationen wie DITIB [1], Koordinierungsräte türkischer Vereine [2], eine türkischen Gewerkschaftssplittergruppe, die »Türkenpartei« [3], Vereine zur Förderung der Atatürkischen Gedanken, EATA [4] und anderer zahlreicher Vereine. Diese, sich als unabhängige »Nichtregierungsorganisationen« nennenden Vereine und Verbände haben dann, teilweise – wie am Beispiel einiger Mitglieder der Türkischen Gemeinde in Deutschland zu sehen – in Freiwilligkeit die Lobbytätigkeit im Sinne der militaristischen Clique in Deutschland aufgenommen.

Die Liquidationen und Anschläge der MIT und der, dem Nationalen Sicherheitsrat direkt unterstellten illegalen Strukturen in Deutschland und anderen EU-Länder ging weiter. Diese Liquidationen und die Drogengeschäfte der staatlichen Banden wurden durch die »Susurluk-Affäre« und viele Presseberichte aktenkundig. Heute noch kommt der Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Republik Türkei oder einer seinen Untergebenen einmal im Monat nach Deutschland, um von hier aus die Lobbytätigkeiten zu koordinieren. Inzwischen sind rassistische und nationalistische Einstellungen, die auch Seitens der Tageszeitungen der türkischen Medienkonzerne gezielt geschürt werden, innerhalb der türkeistämmigen MigrantInnen derart weit verbreitet, dass kein Unterschied zu der Situation in der Türkei zu erkennen ist. Daher würde es auch keine Umstände machen, einen weiteren »Ogün Samast« [5] unter den türkeistämmigen Jugendlichen in Deutschland zu rekrutieren [6].

Nun, sind diese Tatsachen dem deutschen Staat und den Regierungsparteien nicht bekannt? Wohl kaum. Hier drängt sich die Frage auf, ob diese PolitikerInnen und Entscheidungsträger in Deutschland, die auf der einen Seite diese Geheimdienstbeziehungen tolerieren, aber auf der anderen Seite mit Verboten, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen KurdInnen stigmatisieren, es wirklich ernst meinen, wenn sie sich von der Absage Pamuks erschüttert zeigen oder die antidemokratischen Gesetze in der Türkei kritisieren? Wenn ein Staat und dessen Entscheidungsträger, wie im Fall Murat Kurnaz den ganzen Staatsapparat zu unwahren Aussagen nötigt und es hinnimmt, dass ein Mensch jahrelang unschuldig festgehalten und gefoltert wird, dann aber versucht in Sachen Demokratie oder Rechtsstaat andere zu belehren, kann man nur noch sagen: Was für ein Quatsch!

[1] Türkisch-islamische Union der Religionsanstalt. DITIB verfügt in Deutschland über einen immensen Immobilienvermögen und beschäftigt ca.450 Imame. DITIB ist direkt dem staatlichen Religionsanstalt der Republik Türkei unterstellt. Türkische Zeitungen berichteten öfters, dass die DITIB-Zentrale als Hauptquartier des türkischen Geheimdienstes ist.
[2] Die Koordinierungsräte sind i.d.R. innerhalb der türkischen Konsulate untergebracht. In nahezu allen Bundesländern existieren diese Räte und sind in einem Dachverband, welches sich – wie sollte es anders sein – bei der türkischen Botschaft eingerichtet hat, zusammengeschlossen.
[3] Der Versuch eine rein türkische Partei in Deutschland aufzubauen, scheiterte grandios. Der Vorsitzende war der ehemalige Rechtsanwalt Sedat Sezgin, dem später kriminelle Machenschaften vorgeworfen worden sind.
[4] Verband der türkischen Akademiker in Europa. Gefördert von dem damaligen türkischen Botschafter Onur Öymen.
[5] Hrant Dinks Mörder.
[6] Siehe auch Wilhelm Heitmeiers Studie zu den Einstellungen bei den türkischen Jugendlichen.

Am 3. Februar 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«

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